Chancen und Risiken

Keine Interventionen ohne Risiken

Interventionen in der Gesundheitsförderung und Prävention sind anspruchsvolle Vorhaben, die ausserhalb der Routinetätigkeiten von Organisationen liegen und sich oft anders entwickeln als dies im Konzept vorgesehen war. Die prinzipielle Ungewissheit und Unberechenbarkeit von Interventionen hat unterschiedliche Ursachen (in Anlehnung an Wanner 2015):

  • Komplexität: Bei den Settings, in denen die Gesundheitsförderung interveniert, handelt es sich um komplexe sozial-räumliche Systeme, in denen Akteure mit unterschiedlichen Interessen auf vielfältige Weise miteinander agieren. Jede Schule, jeder Betrieb oder jedes Quartier ist grundsätzlich einzigartig und Interventionen entwickeln rasch eine Eigendynamik, die nur schwer vorhersehbar ist.
  • Innovation: In der Gesundheitsförderung, die als relativ junges Feld noch über wenige etablierte Angebote verfügt, werden Interventionen bevorzugt als Programme und Projekte geplant und durchgeführt. Diese innovativen und kreativen Entwicklungsprozesse bieten einerseits viele Chancen, sie bergen andererseits aber auch Ungewissheiten und Risiken.
  • Zusammenarbeit: Programme und Projekte haben in der Regel eine eigene Organisations-struktur, die quer zur Linienstruktur der Trägerorganisation steht und oft werden für grössere Interventionen organisationsübergreifende Teams zusammengestellt. Die neuen Teamstrukturen, aber auch das Zusammenspiel zwischen Team, Zielgruppen, Partnern und die Partizipation weiterer Akteure führen immer wieder zu ungeplanten und unplanbaren Entwicklungen.
  • Individualität: Menschen bringen je individuelle Bedürfnisse, Haltungen, Erfahrungen und Befindlichkeiten in eine Intervention ein, die sich zudem über die Zeit ändern können. Überall wo Menschen (zusammen-)arbeiten, sind überraschende Höhenflüge möglich; es können aber auch Fehler passieren.
  • Kontext: Faktoren im Umfeld einer Intervention können sich jederzeit ändern und den Verlauf stark begünstigen oder aber behindern. Die Unterstützung in der Bevölkerung für ein Quartierprojekt, die politischen Rahmenbedingungen für ein Schulprojekt, die ökonomische Situation eines Betriebes etc. sind nicht verlässliche Bedingungen, sondern bis zu einem gewissen Grad unberechenbar.
  • Partizipation: Die Gesundheitsförderung hat den Anspruch, Interventionen partizipativ zu planen und umzusetzen. Wenn echte Partizipation (Wright 2010) gelebt wird, sind die Entwicklungen nur begrenzt plan- und voraussehbar. Die Zielgruppen entscheiden kontinuierlich mit, in welche Richtung sich die Intervention entwickelt.

Chancen und Risiken sind eng miteinander verknüpft. Risiken lediglich als Gefahren für ein Projekt zu verstehen, ist zu kurz gegriffen (Wanner 2015). Wir gehen ständig Risiken ein und nutzen Chancen, um uns weiterzuentwickeln. Wenn ein Kind beispielsweise Fahrradfahren lernt, ist dies mit der Aussicht verbunden, den Bewegungsradius zu erweitern und mit den grösseren Kindern mithalten zu können. Zudem verspricht die neue Bewegungsform Spass. Bis dieses Potenzial aber genutzt werden kann, müssen einige Hürden überwunden werden und die meisten kommen wohl nicht um Stürze und Schrammen herum. Auch in anderen Lebensbereichen (im Beruf, auf Reisen etc.) sind wir ständig mit Risiken konfrontiert, wenn wir uns weiter entwickeln wollen. Ein Leben gänzlich ohne Risiken ist erstens kaum vorstellbar und zweitens auch nicht erstrebenswert. Es kann nicht das Ziel sein, jegliches Risiko zu vermeiden, sondern Risiken abzuschätzen und zu begrenzen. Das gilt für das tägliche Leben ebenso wie für die Projektarbeit.

Umgang mit Ungewissheit

Eine der grossen Herausforderungen der Gesundheitsförderung und Prävention ist ein angemessener Umgang mit der Offenheit und Ungewissheit bei Interventionen. Verantwortliche müssen…

  • in Betracht ziehen, dass sich die Settings und Zielgruppen, aber auch die Intervention selber anders als erwartet entwickeln können,
  • offen sein für Chancen (Windows of opportunities) und nach Risiken Ausschau halten,
  • unterschiedliche Entwicklungsszenarien entwerfen,
  • reale Entwicklungen im Projekt regelmässig systematisch reflektieren und
  • flexibel und kreativ auf Unvorhergesehenes reagieren können.

Im Spannungsfeld zwischen Planbarkeit und Ungewissheit braucht es bei Interventionen einerseits klare Vorstellungen über die Ziele, die man verfolgt, andererseits müssen diese aber regelmässig überprüft, geschärft und gegebenenfalls adaptiert werden. Eine zeitliche Gliederung durch Meilensteine und etappenweise Feinplanung hilft, den Fortschritt kontinuierlich zu reflektieren, auf sich ergebende Chancen und Risiken zu reagieren und das Vorhaben Schritt für Schritt weiter zu entwickeln. Meilensteine, welche regelmässig über die Programm- oder Projektdauer verteilt werden, sind Haltepunkte, an welchen diese Reflexion und Detailplanung stattfinden kann. Meilensteine sind gute Momente für eine rückblickende Analyse der aktuellen Stärken und Schwächen sowie vorausblickend, möglicher Chancen und Risiken (SWOT-Analyse).

Literaturhinweise

  • Wanner, Roland (2015). Risikomanagement für Projekte: Die wichtigsten Methoden und Werkzeuge für erfolgreiche Projekte. Kompakt-Wissen. 2. Auflage. CreateSpace Independent Publishing Platform.
  • Wright, Michael, T. (2010). Pratizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention. Bern: Huber

Was Sie daran hindern könnte, diese Aspekte zu berücksichtigen

  • Sie gehen davon aus, dass Sie Ihr Projekt oder Programm so gut geplant haben, dass Unvorhergesehenes unwahrscheinlich ist.
  • Sie befürchten, dass die Auseinandersetzung mit Risiken bei den Akteuren zu einer negativen Stimmung führt.
  • Sie sind ausreichend mit gut Planbarem beschäftigt, so dass nicht auch noch Zeit bleibt für die Auseinandersetzung mit Unvorhersehbarem.
  • Sie wissen nicht, was Sie konkret tun könnten, um Risiken frühzeitig erkennen und vorbeugen zu können.

Was Sie gewinnen können

  • Sie lassen Chancen, die sich für Ihr Vorhaben ergeben, nicht ungenutzt. Dadurch erhöht sich das Wirkungspotenzial Ihres Projektes oder Programms.
  • Wenn Sie sich mit potenziellen Risiken auseinandersetzen, können Sie diese vermindern oder gar vermeiden.
  • Wenn Sie für unvermeidbare Risiken einen Notfallplan haben, können Sie in einer entsprechenden Situation gut vorbereitet und besonnen reagieren.

Was Sie konkret tun können

  • Planen Sie regelmässige Haltepunkte (Meilensteine) in ihrem Projekt oder Programm ein, um regelmässig die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu reflektieren
  • Nutzen Sie das Instrument Risikoanalyse auf quint-essenz, um sich vertieft auf potenzielle Risiken vorzubereiten und vorbeugende Massnahmen zu planen.

Reflexionsfragen

  • Besprechen Sie in Ihrem Team regelmässig, welche Chancen und Risiken sich für Ihre Intervention ergeben könnten?
  • Haben Sie vorbeugende Massnahmen getroffen, um angemessen auf Risiken reagieren zu können?
  • Haben sie einen "Plan B", falls eines der identifizierten Risiken dennoch eintreffen sollte?
  • Sind im Projekt- oder Programmbudget Reserven für Unvorhergesehenes enthalten?