Partizipation

Herkunft und Begrifflichkeit

Partizipation gilt in der Ottawa Charta als grundlegendes Prinzip für die Praxis der Gesundheitsförderung. Grundannahme dafür ist, dass Projekte wirkungsvoller und nachhaltiger sind, wenn die angesprochenen Menschen aktiv in den Veränderungsprozess miteinbezogen werden. Gewonnen wurden diese Erkenntnisse aus langjährigen Erfahrungen mit Gemeindeprojekten und Bürgerinitiativen. Dort zeigte sich, dass nachhaltige Veränderungen zugunsten der Bewohnerinnen und Bewohner meist nur möglich waren, wenn diese ihre Situation aktiv mitbestimmten.

Partizipation bedeutet, Menschen in Projekten der Gesundheitsförderung aktiv an der Planung und Umsetzung zu beteiligen. Was ist mit Beteiligung gemeint? Den viel zitierten Satz: „Betroffene zu Beteiligten“ machen, kennen zwar viele, oft wird jedoch nicht das Gleiche darunter verstanden. Kann man z.B. bereits dann von Partizipation sprechen, wenn Mitglieder der Zielgruppe nach ihren Bedürfnissen gefragt werden, ihre Meinung für ein erstelltes Konzept eingeholt wird oder sie in Beiräten und Ausschüssen sitzen? Diese Fragen zeigen, dass es einer genauen Definition von Partizipation bedarf.

Von echter Partizipation wird gesprochen, wenn Personen oder Gruppen Entscheidungsmacht haben. Je grösser diese Entscheidungsmacht ist, umso grösser ist der Grad an Partizipation. Für die Projektleitung heisst das, Entscheidungsmacht abzugeben oder zu teilen, eigene Vorstellungen in Frage zu stellen und bereits geplante Vorhaben überprüfen zu lassen. Das ist im Alltag keine einfache Voraussetzung, da oft Druck und Ergebniszwang auf den Projektleitungen lastet. Ein reflexiver Umgang mit Partizipation ist deshalb unabdingbar. Die Projektleitung muss zu Beginn des Projekts bewusst entscheiden, welche Form von Partizipation möglich ist, wie sie realisiert und entsprechend kommuniziert werden kann. Wenn Teilnehmenden Mitentscheidung versprochen wird, in der Projektrealität aber nur Mitsprache möglich ist, dann wird Frustration und Demotivation erzeugt.

Partizipation in der Umsetzung

Um Partizipation einerseits in der Umsetzung handhabbar und operationalisierbar zu machen und um andererseits einschätzen zu können, in welchem Grad Partizipation umgesetzt wird, wurden Modelle entwickelt, die helfen, den Grad der Partizipation zu bestimmen. Zwei davon werden kurz präsentiert:

Modell funtasy projects

Dieses Modell ist in der Schweiz aus der Erfahrung mit partizipativen Jugendprojekten (funtasy projects) entwickelt worden. Es geht von fünf Stufen aus. Die ersten beiden Stufen 'Information' und 'Mit-Sprache' werden als unechte Partizipation eingestuft, gleichzeitig aber als wichtige Voraussetzung für Partizipation gesehen. Die nächsten drei Stufen: 'Mit-Entscheidung', 'Mit-Beteiligung' und 'Selbstverwaltung' werden als echte Formen der Partizipation definiert.

Modell Gesundheit Berlin

Ein weiteres Modell wurde vom Wissenschaftszentrum Berlin (wzb) und Gesundheit Berlin entwickelt. Es beinhaltet neun Stufen des Einbezugs, die in vier Partizipationsformen eingeteilt werden:

  • Nicht Partizipation: Instrumentalisierung (1), Erziehen und Behandeln (2)
  • Vorstufen der Partizipation: Information (3), Anhörung (4), Einbeziehung (5)
  • Partizipation: Mitbestimmung (6), Teilweise Entscheidungskompetenz (7), Entscheidungsmacht (8)
  • Weit über Partizipation hinaus: Selbständige Organisation (9)

Diese Modelle erleichtern die Entscheidung, welchen Grad der Partizipation man in einem Projekt realisieren kann und will.

Literaturhinweise

  • Paulus, P. (1995). Qualitätsmerkmale der "Gesundheitsfördernden Schule". Impulse Newsletter zur Gesundheitsförderung(4), 7.
  • Frehner, P.; Pfulg, D.; Weinand, Ch.; Wiss, G. (2004). Partizipation wirkt.
  • Teuber, K; Stiemert-Strecker, S.; Seckinger, M. (Hrsg) (2000): Qualität durch Partizipation und Empowerment. Einmischungen in die Qualitätsdebatte. Fortschritte der Gemeindepsychologie und Gesundheitsförderung. Band 6. Tübingen.
  • Wright, M.; Block, M.; von Unger, H. (2007). Ein Modell zur Beurteilung von Beteiligung. Info_Dienst für Gesundheitsförderung, 3_07.
  • Wright, Michael, T. (2010). Pratizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention. Bern: Huber
  • Rosenbrock, Rolf; Hartung, Susanne (Hrsg.) (2012) Handbuch Partizipation und Gesundheit. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Verlag Hans Huber

Was Sie daran hindern könnte, diese Aspekte zu berücksichtigen

  • Eine echte Partizipation wird zeitlich als zu aufwändig und nicht umsetzbar erachtet.
  • Die Beziehung zu Vertreter/-innen der Zielgruppe ist ambivalent.
  • Es bestehen methodische Unsicherheiten.

Was Sie gewinnen können

Wenn Sie Vertreter/-innen der Zielgruppen schon früh in die Planung des Projekts einbeziehen, erhöhen Sie die Chance, dass Ihre Ziele, Strategien und Massnahmen diesen Zielgruppen angemessen sind und Ihr Projekt wirksam wird, dass Sie bessere Lösungsansätze für Ihre Interventionen finden, ein gutes Verhältnis zwischen Projektteam und Zielgruppen fördern und damit den Boden bereiten für eine erfolgreiche Umsetzung.

Was Sie konkret tun können

  • Betrachten Sie Partizipation als wesentliches Element für den Erfolg Ihres Projektes.
  • Wenden Sie die zur Verfügung stehenden Modelle an.
  • Entscheiden Sie sich bewusst für den Grad der Partizipation und definieren sie Personen, die Sie ansprechen wollen.
  • Lassen Sie sich auf einen Entwicklungsprozess ein und holen Sie wenn nötig methodische Unterstützung.

Reflexionsfragen

  • Sind oder waren Vertreter/-innen der Zielgruppen in den Planungsprozess, die Durchführung und die Evaluation ihres Projektes einbezogen?
  • Existiert ein klares Verständnis für Partizipation in ihrem Projekt und sind die Partizipationsformen geklärt?
  • Welche zusätzlichen Möglichkeiten gäbe es, die Partizipation der Zielgruppen zu erweitern?