Gesundheitsförderung Schweiz

Herausforderung Systematik

Hubert Studer, Büro für Qualitätsentwicklung & Cornelia Conrad Zschaber, RADIX

In der Regel werden Interventionsprojekte in der Gesundheitsförderung und Prävention von Mitarbeitenden in Organisationen (Trägerorganisationen) geplant und durchgeführt. Die Art und Weise, wie dies gemacht wird, kann von der Leitung dieser Organisationen gesteuert werden. Sie tragen damit eine Mitverantwortung für die Qualität dieser Projekte. Der Schlüssel dafür – und zugleich eine grosse Herausforderung – ist die Etablierung einer von Kriterien geleiteten Systematik im Umgang mit diesen Projekten.

Nachfolgend finden Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, einige Überlegungen zum vorherrschenden Pragmatismus in Projekten und Organisationen sowie zu Handlungsansätzen mit quint-essenz.

Standortbestimmung

quint-essenz ist ein Qualitätssystem, welches für Projekte in der Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt wurde. In den letzten Jahren ist die Website quint-essenz.ch um ein umfassendes Projektmanagement-Tool erweitert und zu einer Community-Plattform für Fachleute und Organisationen in diesem Handlungsfeld weiterentwickelt worden.

Um ein Bild davon zu bekommen, wie wichtig Qualitätsentwicklung für die Leitung von Organisationen in der Gesundheitsförderung und Prävention ist und ob und wie quint-essenz genutzt wird, wurde im Frühjahr 2011 bei 24 Organisationen in der deutschen und französischen Schweiz eine Erhebung durchgeführt.

Qualitätsmanagement wird vom Grossteil der befragten Verantwortlichen als wichtig oder sehr wichtig beurteilt (20 von 24). Allerdings stösst die Umsetzung bei den Mitarbeitenden häufig auf Widerstand, insbesondere dann, wenn der Aufwand gross ist und Sinn und Nutzen nicht offensichtlich sind.

In sieben der 24 Institutionen ist bereits ein ganzheitliches Qualitätsmanagementsystem wie ISO 9001 oder EFQM in Umsetzung, in zwölf weiteren sind einzelne Elemente wie Prozessmanagement oder Controlling eingeführt. In den meisten Fällen umfassen diese Qualitäts(teil)systeme auch die Projektarbeit. Jeweils ca. ¾ der Organisationen nutzen laut den Befragten bereits heute einheitliche Projektmanagement-Instrumente und Qualitätskriterien, haben entsprechende Abläufe standardisiert, reflektieren die Projektqualität systematisch und beziehen andere – zumindest teilweise - in ihre Qualitätsarbeit ein. Es zeigt sich, dass Auftrag bzw. Geld gebende Organisationen einen grossen Einfluss auf die Qualitätsarbeit nehmen, wenn sie entsprechende Ansprüche stellen. Der Qualitätsanspruch ist gemäss Aussagen der Verantwortlichen der befragten Organisationen bereits recht hoch, wird aber nicht in allen Projekten verbindlich umgesetzt, da es gleichwohl eine gewisse Skepsis gegenüber Standardisierung gibt. Instrumente, welche einen direkt erfahrbaren Nutzen für die Mitarbeitenden in der Praxis darstellen und die flexibel eingesetzt werden können, scheinen am ehesten auf Akzeptanz zu stossen.

Das Qualitätssystem quint-essenz ist in den befragten Organisationen gut bekannt und wird auch in der Mehrheit der Organisationen genutzt (in 17 von 24). Im Vordergrund stehen dabei die Qualitätskriterien (14 Organisationen) und einzelne Instrumente (13 Organisationen). Die Thementexte und das Glossar sowie das Projektmanagement-Tool und die Community-Plattform werden von ungefähr einem Drittel der Organisationen genutzt. quint-essenz wird insbesondere als Referenzrahmen für Qualitätsarbeit sehr geschätzt. Den Wert einer systematischen Nutzung von quint-essenz schätzen 8 von 20 Antwortenden als hoch ein und ebenso viele jedoch lediglich als mittelmässig. Die Komplexität des Inhalts und der Anwendung stellt für einzelne Befragte eine Barriere dar, oder sie sind der Auffassung, dass standardisierte Vorgaben die Flexibilität von Projektleitenden einschränken. Neun der befragten Organisationen würden sich Unterstützung bei der Anwendung von quint-essenz wünschen, andere haben bereits entsprechende Schulungen besucht oder sind der Ansicht, dass sie keine entsprechenden Angebote benötigen. Insgesamt wären nur 5 von 24 Organisationen bereit, eine kostenpflichtige Unterstützung in der Qualitätsentwicklung in Anspruch zu nehmen.

Als Fazit kann man sagen, dass Qualitätsentwicklung in Projekten für die Leitung von Organisationen sowie für Auftrag-, resp. Geldgebende zwar einen hohen Stellenwert hat, dass dieser Anspruch aber oft nur zögerlich umgesetzt wird.

Pragmatismus in Projekten

Viele Projektleitende – vor allem sogenannt 'kleiner' Projekte – sagen, sie hätten keine Zeit für eine umfassende und systematische Qualitätsentwicklung. Sie würden ihre ohnehin knappen zeitlichen Ressourcen lieber für die Umsetzung von Massnahmen einsetzen. So begnügen sie sich allenfalls mit einer punktuellen Nutzung einzelner Qualitätsinstrumente.

Diese pragmatische Denk- und Handlungsweise von Projektleitenden ist nachvollziehbar. Sie ist zugleich Ursache und Wirkung einer in unserem Handlungsfeld verbreiteten Interventionspraxis, welche jedoch in Anbetracht der Herausforderungen komplexer sozial-räumlicher Systeme kritisch hinterfragt werden muss. Eine wirksame und langfristige Intervention ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die nicht mit einer Reihe von 'kleinen' Projekten bewältigt werden kann. Ein neuer Pausenkiosk und der Umbau des Pausenplatzes machen eine Schule noch nicht zur gesunden Schule. Wasserspender und Früchtekörbe, eine Anleitung zum richtigen Sitzen machen einen Betrieb noch nicht zum gesunden Betrieb. Nachhaltige Veränderungen von Verhalten und Verhältnissen erfordern in der Regel längerfristige und untereinander koordinierte Interventionen auf verschiedenen Ebenen (vgl. Newsletter 2011-1)

Die pragmatische Haltung bezüglich Projektmanagement setzt sich bei der Steuerung und Evaluation fort. Das Dokumentieren der eigenen Aktivitäten und Mikroevaluationen (z.B. einzelner Veranstaltungen), die sich zudem fast immer allein auf die Zufriedenheit der Beteiligten beziehen, sind keine hinreichende Grundlage für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Projektpraxis in diesem Handlungsfeld.

Pragmatismus in Organisationen

Eine pragmatische Haltung in Bezug auf Qualitätsentwicklung ist auch in Organisationen verbreitet. In vielen Fällen erhalten Organisationen Aufträge und/oder Vorgaben von übergeordneten Stellen. Diese können inhaltlicher Art sein, etwa thematische Schwerpunkte, strategische Vorgaben in Bezug auf bestimmte Settings, in denen interveniert werden soll, oder auch Vorgaben für das Budget. Sie können aber auch methodischer Art sein, dass zum Beispiel sowohl eine Mehrjahres- als auch eine Jahresplanung gemacht werden muss. Auch kann eine Organisation dazu verpflichtet werden, ein Qualitätsmanagementsystem einzuführen. In der Regel gibt es aber trotz solcher Rahmenbedingungen viel Spielraum in Bezug auf die Art und Weise, wie Interventionen geplant, durchgeführt und evaluiert werden können.

Es gibt wohl kaum Organisationen im Handlungsfeld der Gesundheitsförderung und Prävention, die für ihre Projekte keine Vorgaben machen. Oft gibt es Formulare und Anleitungen für das Erstellen von Skizzen und Konzepten sowie bestimmte Instrumente, die für die Planung, Evaluation und Dokumentation des Projekts genutzt werden sollen. Möglicherweise gibt es auch Verfahrensregeln, die eingehalten werden müssen. Dies stellt zwar eine gewisse Einheitlichkeit im Umgang mit Projekten sicher, aber noch keine kontinuierliche Qualitätsentwicklung. Dies würde eine umfassende und kritische, periodisch wiederkehrende, umfassende und systematische Reflexion der Projektpraxis anhand von Qualitätskriterien voraussetzen.

Systematik mit quint-essenz

Die kritische und systematische Reflexion von Projekten anhand von Qualitätskriterien, das Setzen von Qualitätszielen sowie das Festlegen, Umsetzen und Evaluieren von konkreten Verbesserungsmassnahmen im Rahmen von periodischen Entwicklungszyklen ist der Kern der Qualitätsentwicklung in Projekten.

Das Qualitätssystem quint-essenz bietet dafür einen geeigneten Referenzrahmen. Es ist umfassend und Kriterien geleitet. Alle Begriffe, Themen, Instrumente und Reflexionshilfen sind direkt oder indirekt auf ein Set von insgesamt 24 Qualitätskriterien bezogen.

Was können Sie als Verantwortliche/r in einer Organisation in Bezug auf die Nutzung von quint-essenz machen? Wie können Sie Ihre Mitarbeitenden in Ihrer Organisation dazu motivieren, quint-essenz zu nutzen?

Standortbestimmung vornehmen

Ein erster Ansatzpunkt ist die kritische Reflexion des gegenwärtigen Umgangs mit der Qualität von Projekten in der eigenen Organisation. Die beiden Bewertungsraster für Trägerorganisationen und Geldgeber verschaffen einen ersten Überblick.

Beratungs- und Schulungsangebote nutzen

Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt Organisationen bei der Qualitätsentwicklung von Projekten. Eine externe Beratung kann dabei helfen, das bestehende System von Verfahren, Vorgaben und Gewohnheiten mit quint-essenz zu verknüpfen.

Mitarbeitende unterstützen

Kriterien geleitete Reflexion von Projekten führt zu einer höheren Transparenz in der Projektarbeit. Dies kann bei den Mitarbeitenden Ängste und Widerstände hervorrufen, was in Mitarbeitergesprächen thematisiert und mit dem gemeinsamen Festlegen von persönlichen Entwicklungszielen und entsprechenden Qualifizierungsmassnahmen sowie einer offenen Fehlerkultur aufgefangen werden kann.

Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung in Projekten verbinden

Verantwortliche in Organisationen sind früher oder später mit der Frage konfrontiert, wie sie Qualitätsmanagement auf der Ebene der Organisation mit Projektmanagement und Qualitätsentwicklung auf der Ebene der Projekte sinnvoll verknüpfen können. Eine solche Nahtstelle ist der Prozess der Abwicklung von Projekten, angefangen von der Formulierung einer Projektidee bis hin zur Valorisierung der Ergebnisse eines Projekts. In diesem Prozess müssen immer wieder Entscheide gefällt werden. Mit den Qualitätskriterien von quint-essenz können diese Entscheide fachlich fundiert und nachvollziehbar gemacht werden (vgl. Studer & Ackermann 2009).

Erfahrungsaustausch und Vernetzung pflegen

Alle registrierten Nutzer/-innen haben die Möglichkeit, auf quint-essenz selbst eine Fachgruppe zu bilden und einen Erfahrungsaustausch mit Verantwortlichen anderer Organisationen zu initiieren und zu pflegen.

Fazit

Verantwortliche von Organisationen, die Interventionen planen und umsetzen, haben die Möglichkeit, die eigene Projektpraxis so zu gestalten und zu entwickeln, dass das Potenzial für Wirksamkeit und Nachhaltigkeit, gemessen an den verfügbaren Ressourcen, maximiert werden kann. Das setzt voraus, dass die eigenen Einzelinterventionen in eine längerfristige Gesamtstrategie eingebettet und untereinander koordiniert werden und dass die Planung, Umsetzung und Evaluation von Projekten systematisch und sowohl auf der Ebene der Projekte als auch projektübergreifend erfolgt.

Die Einführung von quint-essenz ist auch eine Intervention in einem komplexen System. Eine Transformation eines bestehenden Systems (für Projekte in Organisationen) wird dann funktionieren, wenn es gelingt, den beteiligten Akteuren aufzuzeigen, dass das neue System einen Mehrwert bietet. Wir sind davon überzeugt, dass Projektleitende im Handlungsfeld der Gesundheitsförderung und Prävention nichts besser motiviert als eine spürbare Unterstützung und der Nachweis der Wirksamkeit ihrer Interventionen.

Literatur

Studer, H. & Ackermann, G. (2009). quint-essenz – Potenziale in Projekten erkennen und nutzen. SuchtMagazin, 2009-2, 26-30. Download: StuderAckermannSuchtmagazin_2009.pdf

Evaluationsbericht 2006. Download: Evaluationqe2006.pdf

Letzte Änderung: Freitag, 16. Dezember 2011, 07:24 Uhr